Als Monja, die eigentlich auf einen anderen Namen hört, vor vier
Jahren von ihrer zweiten Schwangerschaft erfuhr, war es zu spät,
um vielleicht noch über einen Abbruch nachdenken zu können.
In der 16. Woche befand sie sich bereits - von Heroin abhängige Frauen
haben oft keine Regelblutung. "In diesen 16 Wochen", erinnert
sich die heute 24-Jährige, "hat meine Kleine wohl ordentlich
was mitbekommen." Nachdem ihre Tochter schließlich in der 29.
Woche auf die Welt kam, knapp zwei Monate zu früh, musste sie im
Krankenhaus zunächst entgiftet werden.
Jetzt mit vier, erzählt Mutter Monja nicht ohne Stolz, kann die Kleine
schon das Abc. Und im Kindergarten fühlt sie sich sehr wohl. Es war
ein schwerer Weg für die junge Mutter, deren erstes Kind, ein Sohn,
heute sieben ist. Ohne eine betreuende Unterstützung durch das Kieler
"Amt für Soziale Dienste", den ASD, hätte sie es womöglich
nicht geschafft, meint sie. "Alleine kommt man als Drogenabhängige
aus diesem Sumpf nicht raus", sagt Monja. "Ich hatte Angst,
dass mich meine Kinder überfordern würden."
Kinder drogenabhängiger Eltern wurden lange von der Politik vernachlässigt.
Bis heute gibt es in Deutschland nicht genügend Hilfeeinrichtungen.
Dabei sind besondere Anstrengungen erforderlich, um die schlechten Startbedingungen
dieser Kinder wettzumachen. Oft bekommen sie von ihren Eltern nicht genug
Zuwendung, auch die motorische und kognitive Entwicklung kann beeinträchtigt
sein. Häufig verstecken Drogenabhängige ihre Kinder auch - sie
haben Angst, dass sie ihnen sonst weggenommen werden. Ein jetzt von der
Fachambulanz Kiel erstellter Hilfeleitfaden will auf diese Umstände
aufmerksam machen.
Bis zu 150.000 Menschen gelten in Deutschland als abhängig von Drogen
wie Heroin, die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Ein Drittel
hat Kinder, deren Zahl auf 50.000 geschätzt wird. Doch nur 30 Prozent
der drogenabhängigen Mütter sowie 13 Prozent der Väter
leben auch mit den eigenen Kindern zusammen. Die anderen werden zumeist
in Pflegefamilien untergebracht.
Die Bedingungen bei den betroffenen Abhängigen so zu verändern,
dass sie trotz Sucht und Substitution selbst für sich und ihr eigenes
Kind aufkommen können, ist ein Ziel des Kieler Hilfeleitfadens. "Es
ist Aufgabe der Gesellschaft, diese Kinder zu schützen", sagt
die Autorin der Untersuchung, Juleka Schulte-Ostermann. "Sucht ist
Krankheit und unterliegt der besonderen Fürsorgepflicht des Staates."
Monja, die junge Mutter, war 15, als sie zu kiffen begann und "ab
und zu auch Heroin" nahm. Damals war sie bereits zum zweiten Mal
von zu Hause abgehauen, weg von den Eltern und den acht Geschwistern.
Der Vater arbeitete den ganzen Tag auf dem Bau, "und meine Mutter
ging immer kurz zum Einkaufen, nach sechs Stunden kam sie dann endlich
zurück". Monja, die Zweitälteste, fühlte sich als
Ersatzmama überfordert. Nachdem sie mit 17 ihren Sohn bekam, fing
sie ein halbes Jahr später "richtig mit Heroin" an. Der
Junge kam als Zweijähriger zunächst in die Obhut seiner Oma,
denn "als Süchtige ein Kind erziehen geht nicht", sagt
Monja. Als sie dann von ihrer zweiten Schwangerschaft erfuhr, wandte sie
sich an den ASD und kam sofort in ein Substitutionsprogramm. Mutter und
Kinder wohnen längst wieder zusammen. "Doch ohne meine damalige
Betreuung", sagt Monja, "wäre ich wohl kleben geblieben."
Zwar gibt es für Drogenabhängige und deren Kinder inzwischen
mehr Hilfen als noch vor einigen Jahren. "Jedoch fehlen stationäre
Einrichtungen, in denen Kinder und Eltern gemeinsam betreut werden",
so Juleka Schulte-Ostermann - deutschlandweit gibt es nur jeweils eine
in Niedersachsen und Hessen. Viele Mütter und Väter wüssten
nicht, wohin sie sich wenden können. Ein großes Problem sei
auch, dass manche Drogenabhängige immer noch vermeiden wollten, dass
ihre Situation bekannt wird. Sie zu erreichen, sei eine große Herausforderung,
sagt Autorin Schulte-Ostermann.
Das Problem der Erreichbarkeit sieht auch Diplom-Sozialpädagogin
Claudia Winkler von der Fachambulanz Kiel, eine der Initiatorinnen des
Leitfadens. Die einzelnen Hilfsangebote müssten stärker miteinander
koordiniert, die Mitarbeiter besser geschult werden, fordert Winkler.
Es sei traurig, dass wegen knapper Gelder immer wieder Betreuungen vorzeitig
beendet würden, weil andere und noch schwierigere Fälle warteten.
"Als meine Betreuung mit dem zweiten Lebensjahr meiner Tochter endete",
sagt Mutter Monja, "da geriet ich in Panik und dachte, alleine komme
ich jetzt nicht mehr weiter. Gott sei Dank kann ich meine damalige Betreuerin
bis heute immer mal anrufen und sie um Rat fragen."
Monja hat es - zumindest bisher - geschafft, ohne Beikonsum zu bleiben
- eine beachtliche Leistung. Ihre Kinder sind für sie inzwischen
Motivation, sich noch stärker in einem Leben ohne illegale Drogen
zu verankern. Hoffentlich, so erzählt sie, werde sie bald eine feste
Arbeit finden, am liebsten in einem Büro.
Trotzdem bleiben viele Probleme, bei deren Bewältigung sie eigentlich
Unterstützung benötigt. So sitzt der Vater ihrer zwei Kinder,
der ebenfalls abhängig ist, seit kurzem wegen Körperverletzung
für ein halbes Jahr im Knast. "Mein Sohn ist zurzeit richtig
aggressiv", sagt die junge Mutter. "Ich habe Angst, dass er
auf die schiefe Bahn geraten könnte." Und nach einer Pause fügt
sie hinzu: "Ich will ihn unbedingt retten. Aber die Gefahr ist natürlich
ganz groß, dass er später mal so wird, wie man selbst drauf
war."
von Peter Brandhorst
taz Nord vom 7.12.2005, S. 23, 168 Z. (TAZ-Bericht)
|